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Axel Wolf im Gruenen KLEINAxel Wolf, Dorothee Oberlinger, Anna Torge, Christoph Anselm Noll
Werke von Silvius Leopold Weiss, Johann Sebastian Bach und Ernst Gottlieb Baron
Aufgenommen Mai/Juni 2012, erschienen 2013
OEHMS CLASSICS OC 876, im Vertrieb von NAXOS
… ein besonderes Vergnügen …

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Friends CDFreunde der Laute? Sind das die Musiker, die zusammen die vorliegende CD gemacht haben? Sind es die beteiligten Instrumente? Oder vielleicht die mit Werken vertretenen Komponisten? Eventuell fehlt da aber ein Ausrufezeichen und alle, die sich auf die dargebotene Musik einlassen, werden angesprochen mit: „Freunde der Laute! Wir haben hier etwas, das Ihro Gnade finden wird.“

Silvius Leopold Weiss jedenfalls ist der Komponist, um den es sich eigentlich dreht. Vier Einzelsätze aus seiner Feder stehen auf dem Programm der CD: zwei Fantasien, ein Prélude und eine Chaconne. Dann gibt es das „Concert d’un Luth et d’une Mandoline“, das in zwei handschriftlichen Quellen überliefert ist: einmal als „Concert d’un Luth et d’une flute traversière“ (Londoner Handschrift [Lbl:Ms. Add. 30387]) und einmal als Sonata für zwei Lauten (Dresdner Handschrift [Dl:Mus. 2841–V–1]). Leider sind in der einen Handschrift der Flötenpart verschollen und in der anderen der der zweiten Laute.

Die fehlende Lautenstimme in der Dresdner Handschrift hat in den neunziger Jahren Karl-Ernst Schröder rekonstruiert, seine vervollständigte Version ist in die soeben fertiggestellte Weiss-Gesamtausgabe aufgenommen worden (Weiss-GA im „Erbe Deutscher Musik”, 10 Bde., Frankfurt am Main, Kassel u.a. 1983—2007/2013) und sie liegt auch als CD vor (gespielt zusammen mit Robert Barto, Symphonia SY 98159). Die Flötenstimme in der Londoner Version hat die Barockflötistin Eileen Hadidian für die Weiss-GA wiederhergestellt.

 

Auf der CD „Friends of the Lute“ wird nun eine völlig neue Bearbeitung gespielt, eine mit Mandoline, die Frank Löhr angefertigt hat. Sie folgt, was Details angeht, erwartungsgemäß weder der Version von Schröder noch der von Eileen Hadidian. Vom Tonumfang her und wegen der Unterschiede der Klangdauern (sustain) der Instrumente wäre die Übernahme einer der beiden Fassungen nicht möglich gewesen.

Die neue Version wirkt keineswegs fremd oder verfremdend, sogar gibt sie dem musikalischen Gefüge melodiöse Strahlkraft … auch ohne die rührende, „künstlerisch empfundene“ Erklärung von Michael Kämmle übrigens.

Zu Ihrer Information: Im Booklet der CD wird ein fiktiver Briefwechsel zwischen „der in Leipzig lebenden Dichterin Adelgunde Gottsched und einer ihrer Freundinnen“ wiedergegeben, verfasst von Michael Kämmle. Adelgunde war Ehefrau des Aufklärers und Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched. Wer ihre Freundin war, wissen wir nicht.

Adelgunde Gottsched berichtete von einem Besuch im Hause Johann Sebastian Bachs. Dort waren Johann Sebastian Bach, sein Sohn Wilhelm Friedemann und die beiden Lautenisten Silvius Leopold Weiss und Johann Kropfgans zusammengetroffen. Ein solches Treffen hat es wohl im August 1739 wirklich gegeben, aber weder war Frau Gottsched dabei, noch hat Kropfgans ein „merkwürdiges kleines Instrument“ dabei vorgeführt, das „Mandoline oder von einigen auch Mandora oder Pandure genannt wurde“ … mindestens wissen wir davon nichts. Ich könnte mir auch vorstellen, dass beide, Kropfgans und Weiss, das Instrument eher „Testudo minor“ oder „kleine Laute“ genannt hätten – wie ihr Zeitgenosse Johann Gottfried Walther in seinem Musikalischen Lexikon von 1732: „ein gantz kleines mit 4 Saiten bezogenes Lautenmäßiges Instrument“.

Aber ungeachtet, wo und wann Bach und seine Gäste die Mandoline kennengelernt und wie sie sie genannt haben oder hätten: Anna Torge und Axel Wolf gönnen ihren Zuhörern ein besonderen Vergnügen – nicht nur, weil sie einem selten gehörten Werk des großen Weiss die Ehre gegeben haben, sondern, weil Ihrem Zusammenspiel zu lauschen, einfach Spaß macht. Die beiden sind nicht immer einer Meinung und das wundert vermutlich niemanden, weil die kleine, quirlige, ich möchte fast sagen vorlaute Sopranlaute und ihre mächtige, gemächliche und dominante ältere Verwandte so unterschiedlich sind. Außerdem hat Axel Wolf schon in der einleitenden solistischen „Fantasia B-Dur“ von Weiss gezeigt, mit welcher beinahe lasziven Sinnlichkeit und Freiheit er beispielsweise mit Tempi, Phrasierungen und Ruhepunkten in den Stücken umgeht. Das ist sehr spannungsgeladen … und vor allem ist es sehr individuell.

Im Zusammenspiel ist Wolf besonders mit der Blockflötistin Dorothee Oberlinger einig, was die stilistischen Mittel angeht. Berührende Sinnlichkeit strahlt das einleitende Adagio des „Concerto für Flauto dolce und Laute“ von Ernst Gottlieb Baron aus … aber der Bogen an unterschiedlichen Arten musikalischer Charaktere ist weit gespannt. Eine typische Siciliana folgt, die Dorothee Oberlinger hinreißend schön spielt, schließlich eine kecke Gigue, in der die beiden Musiker noch einmal demonstrieren können, wie ähnlich sie offenbar über musikalisch Mögliches und Angemessenes denken.

Schließlich steht noch die „Sonate A-Dur für Laute und Cembalo nach BWV 1025“ auf dem Programm. Sie stand im BWV (Auflage von 1950) noch als „Suite A-Dur“ für Violine und Klavier, der Eintrag war allerdings mit dem Vermerk „Echtheit angezweifelt“ versehen. Inzwischen wissen wir, dass BWV 1025 die Bearbeitung einer Lauten-Sonate von Silvius Leopold Weiss ist. Die Herausgeber der Weiss-GA meinen dazu im Kritischen Bericht zu Band VIII: „Man beachte, dass der Cembalopart [… ] mit nur geringen Eingriffen zusammen mit der Tabulaturfassung von Dl [Dresden, Landesbibliothek] gespielt werden könnte.“ Den Beweis für die Richtigkeit dieser Einschätzung haben Axel Wolf, Laute und Christoph Anselm Noll, Cembalo, nun geliefert.

Die klangliche Dominanz des Cembalos stellt diese Kompositionin ein vergleichsweise ungewohntes Licht. Haben wir bisher Instrumente nebeneinander gehört, die ausgewogen – auf Augenhöhe sozusagen – miteinander kommunizierten, ist hier das Cembalo klar vorrangig. Beide Stimmen sind obligat und gleichberechtigt auskomponiert, es gibt also keine Rollenverteilung wie etwa in Solo- und Continuo-Instrument … allerdings hat das Cembalo das deutlich größere klangliche Volumen, das vom Interpreten nicht einmal dosierbar ist. Damit wird die Musik auf ihre Struktur reduziert und von Fragen nach klanglicher Differenzierung unabhängig. Die Frage, ob Bach diese Art von Reduktion auf die eigentliche Substanz der Komposition erreichen wollte, als er das Lautenstück von Weiss bearbeitete, werden wir nie mit Sicherheit beantworten können. Aber er hat die Laute geschätzt, das wissen wir!

„Friends of the Lute“ ist eine höchst erquickliche CD und das Protokoll einer offenbar mehr als einvernehmlichen Zusammenarbeit. Den vier beteiligten Musikern ist es gelungen, ein abwechslungsreiches Programm auf die Bühne zu bringen und gleichzeitig das eine oder andere musikalische Geheimnis zu lüften … oder, sagen wir, daran zu arbeiten.

Schlusswort des Rezensenten: „Der geneigte Leser lasse sich meinen Eifer ihm zu dienen, und den Flor der schönen Wissenschaften zu befördern, gütigst gefallen, und bleibe mir gewogen. Dieß wird der süßeste Lohn meiner Bemühungen seyn“ … schrieb vor mir Adelgunde Gottscheds Ehemann Johann Christoph in der Vorrede zur vierten Auflage seines Buches „Versuch einer Critischen Dichtkunst“ [Leipzig 1751, bei Bernhard Christian Breitkopf].