Paladin – Alex McCartney, Lute
Aufgenommen im Oktober 2018, erschienen ℗ 2019
6chörige Laute von Luke Emmet nach Venere, Hieber und Gerle
VETERUM MUSICA VM022 [EAN 0-793611-630277]
… der Schotte mit der Laute hat wieder einmal den rechten Ton getroffen…
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Von Jean Paul Paladin (ca. 1500–1565) listet Howard Mayer Brown (Instrumental Music printed before 1600, Cambridge/Mass., 1967) zwei Tabulaturdrucke: „Tablature de Lutz“ von (ca.) 1549, und „Premier Livre de tabulature de luth“ von 1553 bzw. als Neuauflage, 1560. Alex McCartney erwähnt im Booklet zu seiner neuen CD eine weitere Quelle namens „Hortus Musicalis Novus“ von 1615. Dieser Druck steht naturgemäß nicht bei BROWN, weil er erst nach 1600 erschienen ist … allerdings findet man ihn im Quellenlexikon RISM (Répertoire International des Sources Musicales, Kassel u.a., 1975, Bd. A/I/5, Nº M2337) und natürlich im „Pohlmann“ (Ernst Pohlmann, Laute, Theorbe, Chitarrone – Die Instrumente, ihre Musik und Literatur von 1500 bis zur Gegenwart, 51982, S. 93). Mit Jean Paul Paladin hat der „Hortus Musicalis Novus“ allerdings nichts zu tun und bei genauerer Betrachtung steht das auch im Booklet: „In between the contrapuntal fanatasias by Paladin, I have included a selection of anonymous praeludiums from Hortus Musicalis Novus (1615).“
Paladin war nicht der Herausgeber des „Hortus“ … schließlich war er schon fünfzig Jahre tot, als das Tabulaturbuch erschien. Ein Elias Mertel war es, er hat den 278 Seiten umfassenden Band zusammengestellt, der 1615 in Straßburg gedruckt erschienen ist. Es war einer jener großen Sammelbände, wie sie um 1600 vermehrt herausgekommen sind — Beispiele: Georg Leopold Fuhrmann: „Testudo Gallo-Germanica“ von 1615; Jean Baptiste Besard: „Thesaurus Harmonicus“, Köln 1603; Adrian Denss: „Florilegium omnis fere generis cantionum“, Köln 1594 und mehrere andere (nicht alle, aber einige wichtige, sind in Köln erschienen, auch übrigens die einzige Faksimile-Ausgabe des Buchs Testudo Gallo-Germanica von Fuhrmann … aber das nur am Rande!). Als die Anthologien im Original herauskamen, war die Laute allerdings schon mindestens acht, oft zehnchörig, wurde allerdings, was die obersten sechs Chöre anging, noch traditionell in „Renaissancelauten-Stimmung“ (g-c-f-a-d-g, a-d-g-h-e-a oder ähnlich) verwendet. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis diverse neue Stimmungen sich durchsetzen sollten, aber noch beherrschte die „alte Stimmung“ die Szene.
„Paladin“ heißt die CD – nicht „Paladino da Milano“ – wie „der Göttliche“ war ihr Komponist in Mailand geboren. Im Titel der Tabulatur von 1549 heißt es „composé par M. Jean Paulo Paladin Milanoys“. Seine beiden Tabulaturbücher sind in Lyon erschienen, beide in italienischer Tabulatur [sic] – allerdings französischer Sprache. Das erste (1549) im Verlag von Jacques Moderne, das zweite (1560) bei Simon Gorlier, der sich nach Modernes Tod als Verleger niedergelassen hatte.
Gehörte Giovanni Paolo Paladino zu den Musikern, die in ein fremdes Land (hier: nach Frankreich) gingen, um international Karriere zu machen … ähnlich wie sein Landsmann Alberto da Ripa oder Albert de Rippe, wie er auf Französisch genannt wurde? Paladin jedenfalls ist in Lyon zu einem gewissen Wohlstand gekommen – davon zeugen Haus und Weinberg. Und wir wissen auch, dass er etwa 1516 über Frankreich sein Heimatland verlassen hat, um dort an verschiedenen Höfen als Musiker tätig zu werden … am Schluss – notabene! – bei Queen Mary of Scotland.
Alex McCartney hat schon wieder eine höhst notable CD vorgelegt! Nicht, weil er ein bisher wenig beachtetes Repertoire bearbeitet hätte – denn immerhin haben schon Kollegen lange vor ihm Musik von Paladino eingespielt – unter ihnen Paul O’Dette. Nein, „der Schotte mit der Laute“ hat wieder einmal den rechten Ton getroffen. Schottland – auch, wenn das zu sagen, Eulen nach Athen oder Tauben nach Mailand zu tragen hieße, war ein „Lautenland“, ein Land, wo am Hof und in der feinen Gesellschaft , Laute und nicht bagpipes gespielt wurden. Wie viele von Alex' Kollegen haben schottische Lautenmusik eingespielt, wie oft haben wir sie begeistert gehört und bewundert? Aber heute spielt Alex McCartney keine Musik aus seiner Heimat, heute spielt er … tja, was spielt er eigentlich? Ist es italienische oder ist es französische Musik?
Mehr Italien als Frankreich, ohne Zweifel! Seine Polyphonie ähnelt der von Francesco da Milano oder schlicht „Milano“, wie er den Göttlichen ebenso kurz wie verwirrend im Booklet nennt. Denn aus Mailand kam ja auch Paladino, er wurde aber keineswegs Giovanni Paolo da Milano genannt … Francesco dagegen niemals Canova. So hieß er nämlich. Sein „Familienname“ taucht im Booklet von Alex McCartneys höchst erfreulicher CD nicht ein einziges Mal auf.