Giuliani pop

Stover Romanze Titel 400x550Rico Stover: Romance Variations (mit Audio-CD)
Pacific, MO, 2013, MEL BAY, ISBN 978-078-668-501-1 US-$ 19,99

Die „Spanische Romanze“ ist überall bekannt und sie ist auch nicht von Rico Stover. Der hat jetzt allerdings Variationen über diesen Dauerbrenner der Gitarrenmusik geschrieben und dazu einen Text, in dem die Geheimnisse rund um die Romanze gelüftet werden sollen. Eines dieser Geheimnisse ist die durchaus essentielle Frage, wer denn dieses Stück überhaupt geschrieben hat und wann. Gleich mehrere Musiker haben für sich in Anspruch genommen, Komponist dieses populären Stücks zu sein … gleich mehrere wollten dabei an den sicher nicht unerheblichen Einkünften aus den Rechten an der Romanze verdienen.

Aber zunächst Rico Stovers Variationen: Zunächst hat er eine Introduktion dazugeschrieben. Sie lehnt sich an das Thema der Romanze an und an ihre harmonische Folge. Es folgt als Thema die Romanze, unverändert in ihrer weltweit bekannten Form.

Die sechs Variationen sind parodistisch, das heißt, sie enthalten auf der einen Seite das melodische und harmonische Material des Themas, also der Romanze, und verquicken es mit Elementen aus anderen musikalischen Sphären. Beispiel: Die dritte Variation heißt „Villa-Lobosiana“. Man hört das Gerüst des ersten Préludes für Gitarre von Heitor Villa-Lobos – allerdings mit einer anderen Bass-Melodie: der der Romanze.

Die vierte Variation heißt „Bossanova“ … und wieder: versteckt ist die Melodie der Romanze. „Chet’s Pick“ als fünfte Variation geht auf das Fingerpicking von Chet Atkins zurück und die Aire de la Danza“ (sechste Variation) auf Tänze, wie sie in Argentinien und Uruguay gespielt werden. Rico schreibt dazu, er sei von den „guitarristas criollos“ Eduardo Falú und Atahualpa Yupanqui zu dieser Variation inspiriert worden. Die Romanze zieht sich durch diese längste Variation (von immerhin 8 Druckseiten), ihr Thema beherrscht den Satz ständig und unüberhörbar.

 

Die „Romance Variations“ von Rico Stover sind ein enorm kurzweiliges Stück Musik, das sicherlich viele Freunde finden wird. Es wirkt improvisiert, locker heruntergespielt, ohne große Ambitionen. Aber genau in diese Schubladen hat auch das Thema, die Romanze, gepasst. Sie ist vor vielen Jahren als „klassisches Stück“ von „klassischen Gitarristen“ gespielt worden … aber das traut sich seitdem fast niemand mehr. Narciso Yepes hat die Romanze 1952 als Soundtrack zu René Clements Film „Jeux interdits“ eingespielt und dem Stück damit internationale Anerkennung gegeben … und damit sind wir beim Textteil von Rico Stovers Ausgabe.

Es werden immerhin 8 Musiker als mögliche Komponisten der Romanze genannt. Einer davon ist Fernando Sor [sic]. Aber es gibt auch solche, die Rico nicht erwähnt: Siegfried Behrend zum Beispiel. Auch er hat eine Ausgabe herausgebracht, die ihn als Komponisten genannt hat. Vermutlich hat er den einen oder anderen Ton geändert und dann die Sache als „freie Bearbeitung“ unter seinem Namen herausgegeben – das hat er oft gemacht!

Schaut man in den Katalog von Wolf Moser aus dem Jahr 1985 (Hamburg, Trekel), und der ist bekanntlich keineswegs vollständig, sieht man dort elf Ausgaben, für die kein Komponist angegeben wird (unter Anon.) – alle anderen, die also, für die sich die Herausgeber als Komponisten ausgegeben haben und auch die, bei denen die Romanze in Anthologien versteckt ist, findet man nicht so leicht.

Stover nennt allein vier Ausgaben der Romanze, bei denen die Herausgeber als Komponisten genannt werden: Pedro Maza, Daniel Fortea, Vicente Gomez und Narciso Yepes. Für alle vier werden im Weiteren die Argumente „pro“ und „contra“ gegeneinander abgewogen und es werden sogar noch neue ins Spiel gebracht. Eine amüsante übrigens, die mit Angelo Gilardino zu tun hat. Danach soll der Flamenco-Gitarrist Francisco Rodríguez „El Murciano“ (1795—1848) über mehrere Jahre eine Bekanntschaft mit Mikhail Glinka (1804—1857) geführt haben. Glinka war in Spanien und wollte „falsetas“ des Flamenco aufschreiben. Er selbst spielte nicht Gitarre, liebte es aber, Melodien nachzuspielen. Das tat er ausschließlich auf der ersten Saite, „El Murciano“ hörte es und komplettierte die Melodie zu dem, was wir heute als „Spanische Romanze“ kennen. So kann das Stück entstanden sein … nur wissen können wir es nicht. Alles Vermutungen!

Rico Stover erzählt eine wunderbar spannende Geschichte. Es ist nicht die Geschichte der „Spanischen Romanze“, es ist ihre Rezeptionsgeschichte. Wie ist das Stück in Umlauf gekommen; wer zeichnet dafür verantwortlich; wie kommt es, dass das Stück plötzlich so viele Komponisten hatte und: Warum können neue Herausgeber sich nicht auf eine gemeinsame Lesart einigen?

Rico Stover ist seit Jahren als exzellenter Kenner lateinamerikanischer Musik bekannt. Jetzt hat er seine Geschichte eines der berühmtesten Stücke Gitarrenmusik zusammen mit seinen eigenen musikalischen Gedanken über dieses Stück in einer Ausgabe vorgelegt. Beides ist von höchstem Interesse!