Imaginario: De un Libro de Musica de Vihuela
Armonía Concertada – Maria Cristina Kiehr (Sopran), Ariel Abramovich (Vihuela), Jacob Heringman (Vihuela), John Potter (Tenor)
Werke von Juan Vasquez, Giulio Segni da Modena u.a.
Aufgenommen im November 2017, erschienen 2019
Vihuelas: Marcus Wesche, Bremen 2009; Martin Haycock, Chichester 2008 und 2016
OUTHERE MUSIC ARCANA A460, im Vertrieb von Note-1
… Vergnügen für alle Beteiligten …
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Musik für Vihuela wird seit bald hundert Jahren wieder geschätzt … nachdem sie fast vierhundert Jahre in Archiven, Bibliotheken oder privaten Sammlungen geschlummert hatte. Für die Trouvaillen interessierten sich Bibliophile oder Musikologen, ausübende Musiker erst viel später. Musik für Vihuela war in Tabulaturen überliefert, die zunächst als „Geheimschriften“ betrachtet worden sind, und erst „dekodiert“ werden mussten. Dass es sich bei Tabulaturen um Griffschriften handelt, bei denen nicht die Töne aufgeschrieben waren, die erklingen sollten, sondern die Stellen auf dem Griffbrett des jeweiligen Instruments, an denen man sie erzeugt – das wusste man. Dieses Wissen aber in praktisches Musizieren umzusetzen, dafür brauchte es noch etliche Jahre.
Tabulaturen wurden immer noch zunächst in Notenschrift übertragen (damit nach ihnen gespielt werden konnte).… und schon dabei gerieten die Wissenschaftler aneinander. Der eine schrieb seine Übertragungen in Klavierpartitur auf, der andere in Einrichtungen für Gitarre. Der eine nahm für die ersten sechs Saiten (oder Chöre) die relative Stimmung der Gitarre an, damit bei einer Übertragung vom einen auf das andere Instrument die Applikatur exakt gleich blieb, der andere nahm die originale relative Stimmung der Laute an (mit der großen Terz zwischen Chören ④ und ③), um in der Übertragung den wirklichen Lauten-Fingersatz (oder den der Vihuela) verwenden zu können. Es gibt etliche andere Details, die bei Transkriptionen immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten geführt haben.
Und immer mehr Instrumentalisten begannen, direkt aus Tabulaturen zu spielen, was heute für Musiker, die sich mit Alter Musik und alten Instrumenten beschäftigen, Standcard ist. Ihnen hilft die Tatsache, dass immer mehr Tabulaturbände als Faksimile-Nachdrucke herausgekommen sind und zur Verfügung stehen. Was die Vihuela angeht, lässt sich allerdings beklagen, dass de facto nur sieben Tabulaturbücher für Vihuela überliefert sind, was auch John Griffiths festhält, der die Liner-Notes für die vorliegende CD geschrieben hat. Und er fraget weiter: „There are seven vihuela books that survive and which preserve just over seven hundred compositions between them. To these we can add the contents of a few manuscripts, perhaps another twenty or thirty compositions, altogether less than 750 … „ und nun kommt John’s interessante, wenn nicht bedeutende Frage: „If the vihuela was so widespread in its use, so ubiquitous in courtly and urban life, why do we have only seven published books?“ Er selbst liefert Argumente, die zentrale Frage lässt er aber unbeantwortet: Wie kommt es, dass wir so wenig Spielmaterial in den Archiven finden, wo doch die Vihuela im 16,. Jahrhundert ein so gefeiertes Instrument gewesen ist?
Eine Antwort, die Griffiths vorschlägt, ist: Das spanische Druckgewerbe war noch nicht entwickelt genug, dass die immense Nachfrage nach Büchern und Tabulaturen gestillt werden konnte. Das Drucken mit beweglichen Lettern und da speziell das Drucken von Musikalien, war noch in den Kinderschuhen. 1535 war das Vihuela-Buch von Luis Milan erschienen, als das Drucken solcher Erzeugnisse gerade einmal dreißig, fünfunddreißig Jahre erfunden war! Und Neuigkeiten verbreiteten sich damals keineswegs so schnell, wie sie das heute tun. Das Druckgewerbe war zur Zeit Milans einfach noch nicht entwickelt.
Was haben die Vihuelisten getan? Sie haben die wenigen gedruckten Tabulaturen gespielt, weiter haben sie selbst handschriftlich Tabulaturen angefertigt und: Sie haben aus gedruckten und handschriftlichen Tabulaturen gespielt, die „eigentlich“ für Laute konzipiert waren. Man bedenke in dem Zusammenhang, dass Lauten und Vihuelas und dazu noch die Violas de mano in Italien die gleiche Besaitung und die gleiche Stimmung hatten, dass die Instrumente also ausgetauscht werden konnten, ohne vorher Tabulaturen umschreiben zu müssen.
Ein großer Teil des Repertoires für Vihuela bestand zudem aus Intavolierungen, aus Bearbeitungen von Vokalmusik also. Entweder haben die Vihuelisten bekannte Gesangsmusik solistisch nachgespielt oder sie setzten Ihr Instrument zur Begleitung ein. Vermutlich haben sie dafür Tabulaturen aufgeschrieben, denn zu ihrer Zeit wurden Vokalkompositionen fast ausschließlich in Stimmbüchern gedruckt, aus denen ein einzelner Musiker nur schwerlich extemporieren konnte. Zudem kennen wir zahlreiche überlieferte Tabulaturhandschriften, die sicher für den eigenen Gebrauch angefertigt worden sind.
Das Programm der CD „Imaginario“, die jetzt vorliegt, geht zurück auf ein „imaginary songbook“, das Ariel Abramovich angefertigt hat, der selbst auch als Vihuelist mitwirkt. Wir haben es also mit einer Sammlung von Intavolierungen und ein paar autonomen Kompositionen zu tun, die auch vor vierhundertfünfzig Jahren entstanden sein könnte. Ist sie aber nicht! Sie enthält Kompositionen, die zur Zeit Mudarras oder Pisadors schon bestanden und die auch Francesco da Milano vermutlich gekannt hat. Vielleicht (oder Vermutlich) stehen sie auch in Tabulaturbüchern, die verlorengegangen sind oder weiterhin unerkannt in Bibliotheken schlummern … wie beispielsweise die Handschrift Ms. 8937 von Leonardo da Vinci, die 1967 ein Besucher in der Biblioteca Nacional in Madrid gefunden hat und die seitdem als „Codex Madrid“ zu Weltruhm gekommen ist.
Welche Musik die Vihuelisten und Lautenisten des 16. Jahrhunderts favorisiert haben, wissen wir, allerdings: „Our modern compiler [Abramovich] goes a little further when bringing to his anthology a couple of pieces from the recently discovered Castelfranco manuscript, a lute manuscript from the Veneto whose cultural link with Spain is implied by the inclusion in it of pieces by Luis Milán from »El Maestro« [1536].“
Im 16. Jahrhundert waren Vihuela und Laute hochbegehrte Musikinstrumente – für die höfische Musikausübung und bei Musikfreunden. Gespielt wurden Intavolierungen von weltlichen oder sakralen Vokalwerken und Originalkompositionen. Wie weit die Instrumente in Ensembles eingebunden wurden und welche Musik sie da spielten, darüber kann nur spekuliert werden.
Hier, auf der CD „Imaginario“, sind Kompositionen zusammengestellt worden, wie sie in gedruckten und handschriftlichen Anthologien aus dem 16. Jahrhundert auch zu finden sind. „Imaginario“ enthält also ein Programm, das auch vor vierhundertfünfzig Jahren entstanden sein könnte. Die Idee ist bestechend, denn über das damals gespielte und geschätzte Repertoire liegen uns verlässliche Informationen vor.
Auf „Imaginario“ sind drei bis fünfstimmige Kompositionen für Sopran oder Tenor mit Begleitung einer Vihuela eingespielt, dazu ein paar Solostücke. Das kleine Ensemble hat ihr künstlerisch-wissenschaftliches Experiment zu einem Vergnügen für alle Beteiligten gemacht.