Laureate Series – Guitar
Vojin Kocić – Winner 2017, Heinsberg International Guitar Competition
J.S. Bach – Pasieczny – Ponce – Regondi
Aufgenommen im April 2018, erschienen ℗2019
Gitarren: D. Perry, Winnipeg und Paulino Bernabe, Madrid
NAXOS 8.573906
… Die Heinsberger Jury hat eine gute Wahl getroffen! …
♦♦♦♦♦
CD bei Amazon bestellen?
Vojin Kocić wurde 1990 in Serbien geboren. Im Kindesalter hat er begonnen, Gitarre zu spielen, studiert hat er das Instrument dann bei Jovica Milošević und Darko Karajic, später bei Anders Miolin. Er hat zahlreiche internationale Wettbewerbe gewonnen, darunter den renommierten Michele Pittaluga Wettbewerb in Alessandria und – im Jahr 2017 – den Wettbewerb in Heinsberg, bei dem die Produktion einer Solo-CD für das Label NAXOS zu den Preisen gehört hat. Jetzt liegt sie vor, die Preis- und Debüt-CD von Vojin Kocić … die so gar nicht wie eine Debüt-CD wirkt.
Drei Großwerke des Repertoires für Gitarre sind eingespielt (die komplette, natürlich eigentlich für Violine solo geschriebene, Partita BWV 1004, „Introduction et Caprice“ op. 23 von Regondi und „Differencias sobre la folía de España y Fuga“ von Manuel María Ponce). Das hier weitgehend unbekannte Stück „Phosphenes (after Sylvius Leopold Weiss)“ von Marek Pasieczny schließt das Programm ab.
Es gehören schon Mut und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein dazu, als Youngster mit einem so anspruchsvollen Programm seine allererste CD zu füllen. Gleich mit der Allemanda der Bach-Partita, dem ersten Teil-Stück seines Programms, zeigt Vojin Kocić dann allerdings, dass er eine sehr eigene Sicht der Dinge hat und dass er mit Recht stolz auf sein künstlerisches Standing ist. Der Eröffnungssatz der Partita verlangt nämlich von seinen Interpreten ein sehr feines Gefühl für Tempo und Gleichgewicht … und das beweist Vojin ohne jeden Zweifel. Die über sechs Minuten lange Allemanda strahlt bei ihm Ruhe und gezügelte Spannung aus und beides setzt er überzeugend um.
Es folgen Corrente, Sarabanda und Giga bevor die mächtige Chaconne, einer der bedeutendsten Einzelsätze für Violine überhaupt, den Bach‘schen Zyklus mit der Werknummer 1004 abschließt. Dieser Einzelsatz ist hunderte mal für andere Instrumente transkribiert worden – sehr oft für Gitarre, weil fast jeder Gitarrist, der die Chaconne öffentlich oder gar auf Platte oder CD gespielt hat, sich selbst als Bearbeiter ausgegeben hat – vielleicht, um sich selbst als kongenialen Instrumentalisten auszugeben … oder – ganz kleinbürgerlich und banal! – um GEMA-Gebühren zu sparen. Aber die Chaconne ist auch für andere Besetzungen uminstrumentiert worden. Johannes Brahms hat beispielsweise eine Version für Orchester geschrieben, Ferrucio Busoni auch, die später für Klavier transkribiert worden ist. Dies sind nur die prominentesten Übertragungen – es gibt zahlreiche andere!
Wer erwartet, Vojin bediene sich bei erfahrenen Kollegen und ihren interpretatorischen Vorgaben, der liegt falsch! Früher war es einmal Andrés Segovia, dessen Spiel mehrere Generationen von Gitarristen imitierten, dann waren es Manuel Barrueco und ein paar andere. Aber große Vorbilder, die auf der ganzen Welt bekannt und anerkannt sind, gibt es nicht mehr (oder mindestens immer seltener). Die Assad-Brüder gehörten, was Gitarrenduos angeht, noch dazu und natürlich Ida Presti und Alexandre Lagoya … aber es hat inzwischen mindestens zwei Generationenwechsel gegeben. Viele junge Gitarristen kennen Segovia zum Beispiel überhaupt nicht mehr und sind entsprechend weit davon entfernt, dessen Spielmanieren nachzuahmen, die – wenn wir ehrlich sind – tatsächlich hoffnungslos „von gestern“ oder „von vorgestern“ sind. Und Vojin Kocić zeigt, dass es bei Gitarristen längst neue und bessere interpretatorische Ansätze gibt. Und er setzt sie um! Die spielerischen Eigenheiten der Altmeister muss (und sollte) niemand mehr imitieren. Die Chaconne, die wir hier zu hören bekommen, ist deutlich näher an den Erkenntnissen, die uns die Forschung zur Aufführungspraxis in den letzten Jahrzehnten zur Verfügung gestellt hat.
Natürlich gibt es neue fragwürdige Eigenarten, was die interpretatorische Praxis angeht, und natürlich gibt es auch die „Ewiggestrigen“, die immer noch an Segovias Agogik, seiner Klangfarbenästhetik und an seinen Portamenti kleben. Viele der neuen spielerischen Schrullen haben mit überdrehten Tempi zu tun und werden gern von jugendlichen und sehr jugendlichen Solisten favorisiert. Aber auch hier hält sich Vojin Kocić zurück, dabei könnte er sich durchaus in seiner spieltechnischen Perfektion präsentieren. Aber Spieltechnik und Virtuosität sind keine Themen, mit denen er sich befasst oder befassen müsste.
Natürlich begibt sich Vojin mit op.23 von Regondi in eine völlig andersartige musikalische Umgebung – immerhin befinden wir uns jetzt musikalisch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts! Und auch hier weiß er zu überzeugen! Die spielerische Leichtigkeit, mit der er vor allem das Allegretto scherzando spielt, wirkt elegant und vergnüglich! Natürlich ist hier Virtuosität angesagt … aber es ist die elegante, leichtfüßige Virtuosität, wie sie zur Zeit Regondis gepflegt wurde, als noch leichtere und leichter besaitete Gitarren gespielt wurden, die das kraftvolle Spiel, wie es heute gepflegt wird, nicht mitgemacht hätten. Vojin spielt zwar moderne Konzertgitarren, richtet sein Spiel aber an den Manieren des 19. Jahrhunderts aus.
Es folgen die Folía-Variationen von Ponce und schließlich „Phosphenes“ (after Sylvius Leopold Weiss) von Marek Pasieczny, der vermutlich für alle interessanteste Teil des Repertoires. Pasieczny, der Komponist, wurde 1980 geboren, hat in Schottland, danach in der Schweiz und anderen Ländern studiert. Seitdem lehrt und unterrichtet er dem Vernehmen nach weltweit.
Phosphene sind Lichterscheinungen, die durch äußere Einflüsse auf das Auge entstehen. Es können mechanische, elektrische oder magnetische Stimulationen sein, die solche Effekte hervorrufen und die auch von blinden Menschen wahrgenommen werden. https://www.wortbedeutung.info/Phosphen/ bringt als Anwendungsbeispiel: „Reibt man sich die Augen, können bunte Farbwahrnehmungen entstehen. Das sind Phosphene.“
Pasiecznys Komposition, die er als Auftragswerk für den Internationalen Gitarrenwettbewerb 2016 in Wrocław geschrieben hat, beginnt mit diffusen Tonfolgen, die immer konkreter werden, um sich schließlich dem angekündigten Thema von Silvius Leopold Weiss (seiner Passacaglia) immer weitergehend anzunähern. Tatsächlich ist sie eine Art Variationssatz, bei dem – wie in Brittens Nocturnal – das Thema nicht vorangestellt, sondern zunächst umschwärmt und schließlich am Ende des Werks als eine Art Schlussfolgerung gespielt wird.
Auch hier beweist sich Vojin Kocić als kongenial. Er trifft den rechten Ton, weiß, wie er die Musik unserer Zeit zu entschlüsseln hat und überzeugt! Die Heinsberger Jury hat eine gute Wahl getroffen!