Mauro Giuliani: Guitar Solo and Chamber Music
Stefano Cardi, guitar; Enrico Casularo, flute; Laura Polimeno, voice & guitar; Andrea Orsi & Lorenzo Rubboli, guitars; Ilaria Mancino, voice
Aufnahmedaten unbekannt, erschienen ℗ 2019
Gitarren: Giuseppe Mazzinis Gitarre von Gennaro Fabricatore von 1821; Gitarre von Gennaro Fabricatore von 1802
BRILLIANT CLASSICS 95813
… weniger eitel …
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Eine üppige Werkzusammenstellung: 38 Takes (auf einer CD), rund eine Stunde Musik, diverse Besetzungen. Der Komponist: Mauro Giuliani. Stefano Cardi, der Solist, hat nicht die „großen“ Werke von Giuliani ausgewählt, er hat kleine Kompositionen zusammengestellt, kleine und gelegentlich volkstümliche Stücke, die bisher von niemandem – oder sagen wir besser: von wenigen Kollegen – aufgenommen worden sind … oder höchstens vielleicht in Sammlungen von Unterrichtsstücken.
Eine Person war neben den insgesamt sechs ausführenden Musikern am Zustandekommen der CD beteiligt: Giuseppe Mazzini (1805–1872). Mazzini war als Philosoph und als Vordenker des Risorgimento eine bekannte Persönlichkeit der italienischen patriotischen Bewegung, die eine Einigung der italienischen Teilstaaten herbeiführen wollte, einen italienischen Nationalstaat. Nach den Entscheidungen des Wiener Kongresses von 1814/1815 war die heute als Italien benannte Apenninhalbinsel in mehrere eigenstaatliche Regionen zerfallen – eine davon war der Kirchenstaat mit der Hauptstadt Rom. 1861 wurde das Königreich Italien als konstitutionelle Monarchie ausgerufen und damit die Ziele des Risorgimento erfüllt.
Giuseppe Mazzini liebte Musik und ganz besonders die Gitarre. Zwei Instrumente aus seinem Besitz befinden sich heute in öffentlichen Sammlungen, eines davon im Domus Mazziniana in Pisa, das andere im Museo del Risorgimento in Genua. Letztere Gitarre hat Gennaro Fabricatore 1821 gebaut. Sie ist bei den Aufnahmen für vorliegende CD verwendet worden.
Giuseppe Mazzini war ein bedeutender Mann … seine Verbindung zur Musik muss allerdings eher als Marginalie bewertet werden. Ähnlich sah das auch Lorenzo Rubboli, der Autor der sleeve notes. Er nannte Mazzini im Booklet einen „passionate connoisseur“, was die Gitarre angeht. Mazzini galt und gilt als einer der Schöpfer der Idee eines „Vereinten Europas“, einer Idee, die jetzt, rund hundertfünfzig Jahre nach seinem Tod, leider in verschiedenen Ländern in Frage gestellt wird. In Berlin Kreuzberg, auf dem „Pfad der Visionäre“, wird seine Arbeit jedenfalls mit einer Bodenplatte gewürdigt: „Brüderlichen zwischen allen Völkern Europas und mit Europa zur Brüderlichkeit aller Menschen.“
Das Programm, das uns auf der CD geboten wird, ist kurzweilig und unterhaltsam … das fanden auch die Musikfreunde vor zweihundert Jahren schon, als Mauro Giuliani in Wien lebte. Die Musikverleger wurden damals bedrängt, mehr leicht spielbares Material herauszubringen. Zu einer Zeit, als es keinerlei hörbare Musikkonserven gab, also weder LP noch CD, waren musikbegeisterte Menschen darauf angewiesen, sich die beliebten Stücke entweder vorspielen zu lassen oder selbst zu musizieren und dafür mussten Partituren zur Verfügung stehen, die von Amateurmusikern zu bewältigen waren. Gern wurden Variationssätze herausgegeben und gespielt, in denen beliebte Opernarien als Themen benutzt wurden oder Einzelsätze aus Kammermusikwerken. Als Beispiel mag hier das Thema des „Andante con moto“ aus „Scelta di quattro pezzi favoriti esequiti da Mad. Catalani“ dienen, das uns als „Gott erhalte Franz den Kaiser“ von Joseph Haydn bekannt ist oder, uns Deutschen noch bekannter, mit dem Text von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben als die Deutsche Nationalhymne.‘
Wir haben eine Giuliani-CD vorliegen, die erfrischend anders ist, als fast alles, was uns bisher präsentiert worden ist. Das Repertoire ist anders, die Besetzung und auch der Umgang mit der Musik.
Der Umgang? Prinzipiell spielen Kammermusiker anders, als Solisten. Weniger bravourös und weniger eitel … mehr hörend als spielend! Aus Prinzip können sie keine Egoisten sein – Solisten müssen es. Auch aus Prinzip! Stefano Cardi und seine musikalischen Partner tun noch mehr. Sie laden uns Zuhörer quasi ein mitzuspielen, weil etliche Stücke ihres Programms auch von Amateuren zu bewältigen sind. Wie zu Giulianis Zeit, „als es keinerlei hörbare Musikkonserven gab“.