Havana–Rio–Moscow
Stein-Erik Olsen, Academy of St. Martin in the Fields, Terje Mikkelsen
Werke von Leo Brouwer, Heitor Villa-Lobos und Nikita Koshkin
Aufgenommen (Abbey Road Studios, London) im Juni 2013, erschienen 2014
SIMAX PSC Classics 1313, im Vertrieb von NAXOS
… exzellent instrumentiert …
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Etwas Besonderes: Drei Konzerte für Gitarre und Orchester; keines davon von Joaquín Rodrigo; erstklassige Interpreten, und zwar auf beiden Seiten des Wettstreits.
Bekannte, etablierte Orchester sind nicht unbedingt Gitarren-affin, hier nun hat die bekannte Londoner Academy of St. Martin in the Fields mitgewirkt, ein Orchester, das „eigentlich“ auf ältere Musik spezialisiert ist, auf Barockmusik, um präzise zu sein, allerdings auf Aufführungen mit modernem Instrumentarium. „HIP“ nennt man das, „historically informed performance (practice)“. Neville Marriner hat das Orchester gegründet und viele Jahre geleitet. Jetzt, für vorliegende Aufnahme, stand Terje Mikkelsen am Pult: Norweger, studiert in Oslo, Helsinki und St. Petersburg.
Seit einiger Zeit orientiert sich die Academy hin zu „neuerer“ Musik, sprich, zu Musik, die nach der Barockzeit entstanden ist. Seit Harnoncourt, Leonhardt und Reinhard Goebel, um nur drei Exponenten zu nennen, spielen die Spezialensembles nicht mehr nur „HIP“, sie gehen weiter: historische Instrumente, striktes Festhalten an Erkenntnissen aufführungspraktischer Forschung usw. So weit wollten die Musiker der Academy dem Trend nicht folgen, seitdem spielen sie auch Musik des 20. und sogar des 21. Jahrhunderts … aber Nikolaus Harnoncourt dirigiert schließlich auch Smetana, Brahms und Gershwin, nur sitzt nicht der Concentus Musicus mit Barockinstrumenten vor ihm, sondern das Chamber Orchestra of Europe und der Arnold Schoenberg Chor.
Die Städte Havanna, Rio und Moskau stehen für drei Komponisten: Leo Brouwer, Heitor Villa-Lobos und Nikita Koshkin. Von Brouwer wird das „Concierto Elegiaco“ gespielt, sein drittes Konzert für die Besetzung Gitarre und Orchester. Es ist eine Komposition, die von der BBC für Julian Bream in Auftrag gegeben worden ist und er, Bream, hat sie auch am 21. September 1986 uraufgeführt.
Wir kennen Kompositionen aus Leo Brouwers „Avantgarde-Phase“. Die Solostücke „Parabola“ (1973/1974) kann man da nennen oder „La Espiral Eterna“ (1970). Danach hat er sich umorientiert … und dazu hat er sich auch bekannt. Mir hat er einmal in einem Gespräch gesagt, er hielte Zwölftonmusik, serielle Strukturen und das vollständige Verzichten auf tonale Zusammenhänge für einen historischen Irrtum … weil das Wechseln von Spannung und Entspannung oder von Disharmonie und Harmonie im Wesen des Menschen verankert sei. Und so hat Leo Brouwer nach atonalen Versuchen in den achtziger Jahren wieder zu seinem tonalen, Schreiben zurückgefunden. Das „Concierto Elegiaco“ ist zu dieser Zeit entstanden und Leos Rückbesinnung verpflichtet – ebenso seinem offenbar neu erwachten Interesse für Musiken entlegener Ethnien. Schon die Besetzung des Konzerts lässt neue Klangwelten ahnen: Streicher plus zwei Schlagwerker mit Pauken auf einer Seite sowie Trommel, Tom-Tom, Marimba und Glockenspiel auf der anderen. Dass das Konzert aber von Javanischem Gamelan beeinflusst ist, wie Graham Wade in den liner notes schreibt, auf diese Fährte stößt der Zuhörer eher nicht.
Das Konzert von Heitor Villa-Lobos ist weit bekannt und bedarf keiner Erläuterung – das „Bergen Concerto“ von Nikita Koshkin dagegen, geschrieben für Stein-Erik Olsen, wird hier erstmalig auf CD vorgelegt.
Nikita Koshkin hat bewusst ein ausgewachsenes Sinfonieorchester besetzt – als Herausforderung und als selbstbewusstes Farbebekennen … und Musik aller Couleur ist dem Komponisten dann auch gelungen. Der erste Satz gehört dem Soloinstrument, der Gitarre. Hier hat es Freiraum und Platz sich zu entfalten und das „concertare“ wenigstens streckenweise für sich zu entscheiden. Natürlich hat Villa-Lobos sein Konzert nicht umsonst als „Concerto | Para violão (Guitarra) e pequena orquestra“ instrumentiert und betitelt, als „Konzert für Gitarre und kleines [!] Orchester“. Aber selbst in Nikita Koshkins drittem Satz, der streckenweise Filmmusik-Züge trägt und nicht an Holz und Blech spart, bleibt das Soloinstrument Chef im Ring. Das Konzert ist eben exzellent instrumentiert, Koshkin kann das! Und natürlich: Die Academy of St. Martin in the Fields weiß, was sie tut!
Stein Erik Olsen – von ihm ging die gloriose Idee für diese CD und diese Werkzusammenstellung aus – ist ein besonders in Sachen Kammermusik und Neuer Musik erfahrener Musiker. Hier hat er es wieder einmal bewiesen: Die Gitarre baute die Rolle, die sie im Musikleben des 21. Jahrhunderts einnimmt, spielend weiter aus, wenn sich ihre Interpreten von der Salonmusik der vorletzten Jahrhundertwende verabschieden könnten. Segovia ist schließlich seit fast dreißig Jahren tot!