Giuliani pop

Falconieri CDAndrea Falconieri: Il Spiritillo Brando
La Ritirata – Josetxu Orbegón
Stücke von Diego Ortiz (ca. 1510—ca. 1570), Giovanni Battista Vitali (1632—1692), Dario Castello (ca. 1590—ca. 1630), Giuseppe Maria Jacchini (1667—1727), Juan Cabanilles (1644—1712), Bartolomé de Selma y Salaverde (ca. 1580—ca. 1640), Giovanni Gabrieli (1462—1612) … und Andrea Falconieri (1585—1656)
GLOSSA GCD 923101, im Vertrieb von Note 1
… eine bunte Auswahl …

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Andrea Falconieri bezeichnete sich selbst als „Napolitano“, seine Jugend- und Lehrjahre verbrachte er allerdings nicht in Neapel. Als im Januar 1604 der berühmte Santino Garsi starb, wurde Falconieri sein Nachfolger als Virtuose auf Laute, Theorbe und Harfe am herzoglichen Hof in Parma – jedenfalls erwähnt der Herzog höchstselbst in einem Brief einen „Andrea sonatore“. In seinem Buch „Appendice di varii soggetti parmigini“ von 1642 berichtete dann Ranuccio Pico (1568—1644) über den Lebensweg des Komponisten. Aus dessen Notenveröffentlichung:

Il primo libro di canzone, sinfonie, fantasie, capricci, brandi, correnti, gagliarde, alemane, volte per violini e viole, overo altro stromento a uno, due, e tre con il basso continuo, erschienen 1650 in Neapel, stammen Falconieris Kompositionen auf vorliegender CD.
Der Originaldruck des „libro primo“ besteht aus vier Stimmbüchern mit den Bezeichnungen „Canto, Altro Canto, Basso und Basso Continuo“. Keine verbindlichen Angaben, was die Besetzung angeht, keine Aufführungsanweisungen! Die Stücke sind zwar „per violini e viole“ herausgegeben, gleichzeitig heißt es aber, man könne sie auch auf anderen Instrumenten spielen. Der Basso Continuo wird als Basslinie mit gelegentlicher Bezifferung mitgeliefert.

Diese Musik auszuführen ist mehr, als nur Noten in Töne und Klänge umzusetzen … aber das ist freilich immer so! Bei jeder musikalischen Interpretation gilt es herauszufinden, was nicht in den Noten oder was „zwischen den Zeilen“ steht. Und hier? Hier müssen vorab Fragen geklärt werden wie: Welches sind die anderen Instrumente, die Andrea Falconieri vorschlägt? Wie klangen sie und wie wurden sie gespielt? Wie war der basso continuo besetzt? Wurde Schlagwerk eingesetzt? Wenn ja: Welches? Und wie?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen Bücher und Aufzeichnungen studiert werden, in denen über musikalische Aufführungen berichtet wird; Lehrwerke zudem, die Auskunft geben über höfische Sitten und Gebräuche. Außerdem sind immer wieder Musiker und Musikgruppen auf Gemälden und Grafiken dargestellt worden. In solchen Abbildungen stecken wertvolle Informationen über die Musikpraxis der Zeit.

In Falconieris Repertoire sind auch Stücke verborgen, die im 17. Jahrhundert seltener nach Noten gespielt, sondern eher improvisiert worden sind. Gemeint sind bekannte Ostinatoformen wie Chaconne, Passacaglia oder die Folias. Auch die Bergamasca übrigens, ein eher deftiger, lustiger Tanz, mit dem sich Musiker des 16. Jahrhunderts über die als tölpelhaft verhöhnten Bauern von Bergamo lustig machten.

Die ostinaten Bassfiguren, die den genannten Tanzformen zugrunde liegen, waren allgemein bekannt und wurden als Improvisationsgrundlagen benutzt. Wie weit sich ein Musiker oder ein Ensemble des 21. Jahrhunderts auf das Improvisieren einlassen kann … und wie weit die extemporierten Elemente der Musik dann erkennbar Kinder des Jetzt sind, wissen wir nicht. Josetxu Obregón jedenfalls bietet mit seinem Ensemble La Ritirata eine große klangliche Bandbreite von reinen Streicherbesetzungen (violini e viole) bis hin zu solchen mit – übrigens von Tamar Lalo – höchst virtuos gespielter Blockflöte oder mit Barockcello. Zupfinstrumente sind dabei (Barockgitarre, Chitarrone, Theorbe) und als Continuo-Instrumente Orgelpositiv, Harfe und Cembalo.

Aber es ist nicht nur die Vielfalt an instrumentalen Klängen, die für die Interpretationen von La Ritirata einnimmt. Die Zuhörer haben dazu das Vergnügen, eine bunte Auswahl dessen präsentiert zu bekommen, was im 17. Jahrhundert an Instrumentalmusik im Schwange war. Von recht strengen Ricercari über die schon erwähnten ostinaten Tänze, bis zur „Battaglia de Barabasco“, einem Schlachtengemälde, wie es aus dem 16. und 17. Jahrhundert in allen möglichen instrumentalen Besetzungen überliefert ist. Die meisten davon gingen zurück auf die berühmte chanson „La battaglia francese“ von Clément Jannequin (1472—1560).

La Ritirata gibt sich keineswegs museal, im Gegenteil: Josetxu Obregón präsentiert sein Ensemble verspielt, virtuos und strahlend klangbewusst – in den Stücken eher contemplativen Charakters dafür zurückhaltend und fast einsilbig. In Erinnerung bleibt aber das quicklebendige, markante Spiel, das in den Tänzen durch hie und dort mehr als üppiges Schlagwerk unterstützt wird.
Obregón selbst brilliert mit drei frühen Werken für Cello solo (von Vitali, Gebrieli und Jacchini), das bis dahin nur als Continuo-Instrument verwendet worden war.