Guitar Moods: The Ultimate Collection
Andrés Segovia, Los Romeros, Narciso Yepes, Göran Söllscher, Kaori Muraji und Miloš Karadaglic
Werke von Albéniz, Rodrigo, Santaolalla, Myers und vielen anderen
Aufnahmen aus den Jahren 1952—2012, This Compilation © 2013
Deutsche Grammophon 2 CDs 00289 479 1281
… ein Querschnitt …
Die Deutsche Grammophon kann aus dem Vollen schöpfen. Entweder hat sie mit den Superstars der Gitarrenszene selbst Aufnahmen eingespielt oder deren Rechte sind durch Zukäufe oder Fusionen erworben worden. Andrés Segovias Platten kamen „immer schon“ bei dem gelben Label heraus, auch die von Narciso Yepes. Pepe Romero und seine Familie waren bei PHILIPS, die von Universal Music gekauft wurden und schließlich in dem französischen Medienkonzern Vivendi SA aufgingen. Spätestens damit waren alle Künstler, deren Aufnahmen hier in einem Sampler vereint sind, bei verschiedenen Labels ein und desselben Konzerns.
Die ältesten Aufnahmen stammen von Andrés Segovia (1893—1987), dem Großmeister der Gitarre, der die Geschicke des Instruments im 20. Jahrhundert geprägt hat. Von ihm hören wir die Courante aus der dritten Cello-Suite von Johann Sebastian Bach, „Recuerdos de la Alhambra“, ein Prelude von Frédéric Chopin, eine Sarabande von Händel und schließlich das Prélude „La fille aux cheveaux de lin“ von Claude Debussy.
Mit Segovia hört man immer noch den Klangzauberer und eigenmächtigen Umdeuter des musikalischen Materials, das er seinem Publikum präsentierte. Aber so war seine Zeit, er ist großgeworden in der musikalischen Tradition des 19. Jahrhunderts.
Narciso Yepes (1927—1997) war einer seiner Nachfolger. Er hat die Gitarre von Grund auf neu erfunden, hat ihr vier weitere Saiten gegeben … ist damit aber à la longue eher gescheitert. Nur noch wenige Musiker spielen seine zehnsaitige Gitarre.
Yepes war im Vergleich zu Segovia ein durch und durch akademischer Musiker, einer, der sich an den Notentext hielt und auch, so weit es ihm möglich war, an interpretatorische Vorgaben. Wenn Segovia weitreichend Gebrauch von agogischen Freiheiten machte, spielte Yepes metrisch oft regelrecht „stur“ und unbeweglich.
Auf der CD findet sich „Canarios“ aus der „Fantasía para un gentilhombre“ von Joaquín Rodrigo, ebenso das Vorbild für diesen Satz von Gaspar Sanz und die „Romanza“ aus dem „Concertino para guitarra“ von Salvador Bacarisse.
Auch Göran Söllscher (*1955) ist ein Künstler der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Er benutzt, wenn er Lautenmusik spielt, eine elfsaitige Alto-Guitar des schwedischen Instrumentenbauers Georg Bolin (1912—1993), bleibt sonst aber bei der traditionellen Gitarre mit sechs Saiten.
Göran Söllscher spielt, zusammen mit dem Orpheus Chamber Orchestra, das Adagio aus dem „Concierto de Aranjuez“. Auch hier: Es ist populistisch, diesen Satz aus dem Konzert auszukoppeln – aber er gefällt den Leuten halt! Dann spielt Göran die „Cavatina“ von Stanley Myers, drei Beatles-Songs, „Norwegian Wood“ und „The Fool on the Hill“ von Lennon/McCartney und „Here comes the Sun“ von George Harrison, Greensleeves, ferner ein wenig Bach, de Falla, Couperin, Barrios und Gabriel Fauré.
Die große Zeit der Romeros begann in den 1960er Jahren: Celedonio (1913—1996) und seine Söhne Celin (*1936), Pepe (*1944) und Angel (*1946) bereisten als das erste Gitarrenquartett die Welt … und als „The Royal Familiy of the Guitar“. Nicht nur waren die Vier ausgesprochen talentiert, was Musik und speziell spanisches Kolorit anging, sie waren exzellente Verkäufer ihrer selbst.
Von den Romeros sind auf der CD: 1. „Habanera“ und „Chanson bohème“ aus der Carmen-Suite nach Georges Bizet; 2. der erste Satz aus dem „Concierto Andaluz“ von Rodrigo – zusammen mit der wunderbaren Academy of St. Martin in the Fields unter Neville Marriner und schließlich „Sevillanas“.
Es gibt noch die eine oder andere Aufnahme des einen oder anderen Romero: Pepe spielt seines Vaters ziemlich platte „Danza andaluza Nº 1“ und, zusammen mit seinem Bruder Angel, das frische und schlichte Allegro aus dem Konzert für zwei Mandolinen und Orchester von Antonio Vivaldi – wieder zusammen mit der (immer noch wunderbaren) Academy of St. Martin in the Fields, jetzt aber unter Iona Brown.
Bleiben noch die Einspielungen des neuen Jungstars der Deutschen Grammophon: Miloš Karadaiglic. Seine ersten Platten habe ich hier besprochen und eher skeptisch bewertet. Von meinem Standpunkt kann ich nicht abweichen, auch wenn mich die eine oder andere Aufnahme auf vorliegendem Sampler versöhnlich stimmen mag. Aber Miloš neigt zum unvernünftigen Rasen. Und was ich vor einem Jahr über sein Spiel des ersten Prélude von Heitor Villa-Lobos geschrieben habe, bleibt bestehen, nein, muss ich noch unterstreichen! Miloš hat mitkomponiert. Er hat auf ungebührliche Art das Stück verändert!
Es bleiben noch zwei Stücke, „Clair de la Lune“ von Debussy und die „Pavane pour une infante défunte“ von Ravel, zwei mehr als bekannte Petitessen des internationalen Programms. Weniger bekannt ist die Interpretin: Kaori Muraji (*1978), eine Gitarristin aus Japan, die bereits eine beträchtliche Anzahl an Platten für DECCA (auch bei Universal Music!) eingespielt hat, darunter, nebenbei bemerkt, auch eine mit dem Concierto de Aranjuez. Aber Kaori Muraji würde ich gern noch einmal hören. Nicht, weil ich so fasziniert wäre von ihrem Spiel, nein, weil sie eine Chance haben soll, den Eindruck zu korrigieren, den sie mit beiden Stücken hinterlässt. Da sind Nachlässigkeiten zu hören, die nicht gewollt sein können und das Hörerlebnis stark beeinträchtigen: ungewollte Portamenti, nicht ausgehaltene Akkorde und dergleichen mehr.
Der Sampler der Deutschen Grammophon soll irgendwie einen Querschnitt durch die Geschichte der Gitarrenaktivitäten der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts darstellen. Aber sie haben natürlich nicht alle großen Gitarristen dieser Zeit unter Vertrag gehabt. Julian Bream und John Williams zum Beispiel nicht und von der kommenden Generation fehlen etliche Namen. Trotzdem: Hier wird ein Querschnitt durch das angeboten, was nach dem Zweiten Weltkrieg die Gitarrenszene beschäftigt und inspiriert hat.